Danièle Huillet und Jean-Marie Straub

Action directe 

Oft sagt’ ich euchs: es würde nacht und kalt
auf Erden und in Noth verzehrte sich
die Seele, sendeten zu Zeiten nicht
die guten Götter solche Jünglinge
der Menschen welkend Leben zu erfrischen.

– Friedrich Hölderlin1


Warum diese Versessenheit, die Mitglieder der Action directe2 im Gefängnis verrotten, sterben zu lassen („eingelocht“ seit zwanzig Jahren), wo sie doch sogar aus der Sicht der Herrschenden und der Gesellschaft („ha ucciso – che paghi“ sagt der Richter Violante3 oder, wenn wir hinter die Parenthese des Christentums zurückspringen, „Auge um Auge, Zahn um Zahn“) „bezahlt“ haben?

Weil ihre Analyse richtig war und so fort?

„Der Imperialismus ist kein abstraktes Monster, das an der Spitze der Gesellschaftspyramide thront. Der Imperialismus, das ist das kapitalistische Ausbeutungssystem, das sein Netz über den ganzen Planeten gespannt hat und alle gesellschaftlichen Verhältnisse beherrscht. Es ist ein totalitäres System und sein Krieg wird ein totaler sein.

In den Demokratien wie in den abhängigen Ländern kann der Imperialismus nur dadurch seine innere Logik verteidigen, dass er einen gnadenlosen Krieg gegen seine Feinde führt und nicht zögert, alle Errungenschaften der proletarischen Klassenkämpfe hinwegzufegen: Recht auf Arbeit, Formen des Schutzes der Reproduktion der Arbeitskräfte (Gesundheit, Wohnung, Bildung). Die alltäglichen Kämpfe, die sich in vielfachen und zersplitterten Formen erschöpfen, sind Ausdruck des Widerstandes gegen die imperialistische Ordnung.“4

Weil die Herrschenden an der Macht immer dann zittern und den Kopf verlieren, wenn die besten ihrer Kinder die Tugenden, die sie ihnen scheinheilig beizubringen behaupten, beim Wort nehmen und mit gegenüber jenen der Ungerechtigkeit lächerlichen Mitteln versuchen, diejenigen der Gerechtigkeit in Erinnerung zu rufen. „Die einzige Unordnung ist die Ungerechtigkeit“ schrieb vor Lichtjahren Paul Éluard.5

Weil sie – letzter Stolz angesichts von Zynismus und allgemeiner Willenlosigkeit – sich nicht lossagen, nicht bereuen wollen, um ihre „Freilassung“ zu erkaufen?

Und wer sich darüber wundert – „immerhin“ würde Ernestos Papa sagen –, dass man den greisen Papon aus dem Gefängnis holt, um seine Krankheit zu behandeln, man andere aber mit ihrer Krankheit dem Verfall preisgibt, der sollte sich daran erinnern, dass Papon – unter anderen – französische Kinder dem Grauen ausgeliefert und in den sicheren Tod geschickt hat, im Namen der Macht und nicht gegen die Macht.6 Da ist eine Kontinuität.

24. März 2004

Danièle Huillet
Jean-Marie Straub

 

Übersetzt von Markus Nechleba

 

Anmerkungen des Übersetzers:

Empedokles – in: Friedrich Hölderlin, Der Tod des Empedokles/La Mort d’Empédocle, découpage de Jean-Marie Straub, traduction de Danièle Huillet, Toulouse: Ombres, 1987, S. 64 und 65. 

2 Action directe – revolutionäre anarcho-kommunistische Gruppe, die in Frankreich zwischen 1979 und 1983 zahlreiche Bombenanschläge und Attentate mit Maschinengewehren auf Gebäude verübte. 1982 vom frz. Staat als terroristische Vereinigung verboten. Ab 1983 Attentate auf Personen und gemeinsame Aktionen mit anderen Gruppierungen, u.a. der RAF. 1987 wurden die Gründer der Gruppe verhaftet und in der Folge zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

3 „er hat getötet – er soll bezahlen“ – Luciano Violante: italienischer Politiker und Richter, der von 1977-79 im Justizministerium den Terrorismus bekämpfte. Das Zitat von 2004 bezieht sich auf Cesare Battisti, ehemaliges Mitglied der PAC (Proletari Armati per il Comunismo). Vgl. Corriere della sera, 8.3.2004.

4 Aus einem Text der Action directe: 82, du sommet de Versailles au Liban, in: L’Internationale No 6 (Oktober 1982).

5 Vgl. das Gedicht „Courage“, geschrieben während der deutschen Besatzung, 1944:

„Paris ma belle ville […]
Tu ne supportes pas l’injustice
Pour toi c’est le seul désordre
Tu vas te libérer Paris“

„Paris meine schöne Stadt […]
Du erträgst die Ungerechtigkeit nicht
Für dich ist sie die einzige Unordnung
Du wirst Dich befreien Paris“ (Übers. MN)

6 Maurice Papon (1910-2007), 1998 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Zeit des Nationalsozialismus zu zehn Jahren Haft verurteilt, saß nur drei davon ab. Von 1942-44 sorgte er für Festnahme und Deportation der Juden im Departement der Gironde.