Sagen Sie's den Steinen
Jean-Marie Straub (*1933) und Danièle Huillet (1936-2006) sind sich 1954 in Paris begegnet. Er wollte einen Film über Johann Sebastian Bach drehen und sie sah: „Der hat zu viel vor, das schafft er nicht allein.“ Es begann eine fast 50-jährige Zusammenarbeit, die eines der eigenwilligsten, aber auch kontroversesten Werke des modernen Kinos hervorbrachte. Schon kurz nach ihrer ersten Begegnung verließen Huillet und Straub Frankreich und zogen nach München, weil sich Straub der Einberufung zum Kriegsdienst nach Algerien verweigerte.
Filmstill Zu früh, zu spät (Huillet/Straub, 1980/81)
Die Chronik der Anna Magdalena Bach konnten sie erst 1967 realisieren, zuvor entstanden nach literarischen Vorlagen von Heinrich Böll die beiden Filme Machorka-Muff (1962) und Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht (1964), in deren Eigenwilligkeit einige den Beginn eines neuen deutschen Films sahen, andere lediglich eine Respektlosigkeit gegenüber der Tradition des Kinos und der deutschen Sprache. Dilettantisch, arrogant, ganz und gar modern, hieß es, und Straub wiederum insistierte, dass ihre Filme vollkommen konventionell seien und in der Tradition von Griffith, Ford und Mizoguchi stünden. Diese Widersprüche blieben und wurden prägend. Was jedoch im ersten Moment wie bloße Provokation anmutete, wurde bei genauerem Hinsehen zu einer Öffnung, durch die sich der Blick auf die Leinwand für immer veränderte, die eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Töne einforderte und ein neues Gefühl dafür, wie Körper, Stimmen, Landschaften und dabei immer auch Geschichte und Politik im Kino gegenwärtig werden.
Das Gesamtwerk umfasst mittlerweile fast 50 Filme, darunter 17 teils sehr kurze, die Straub seit dem Tod von Danièle Huillet (2006) zum Großteil digital realisiert hat. Das zweimonatige Programm Sagen Sie's den Steinen ‒ Zur Gegenwart des Werks von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub legt neue Wege zu diesem unabgeschlossenen Werk, das lange als anachronistisch und hermetisch galt, und das sich heute als offen, verspielt und radikal zeitgenössisch erweist. Der Titel zitiert einen Ratschlag, den Danièle Huillet während der Proben zu Antigone (1991) einem Schauspieler gab, der nicht recht wusste, an wen er sich mit seinem Text wenden solle. In der beiläufigen Anweisung, Sagen Sie's den Steinen, kristallisiert sich aber auch der Ausdruck einer Arbeitsweise, die jedem Element dieselbe Aufmerksamkeit widmet – dem Baum, den Steinen, der Schlange, dem Licht, den Wolken, der Stimme, dem Rauschen – und sich dem Dogma der Kommunikation verweigert.
Ein Projekt der Akademie der Künste, Berlin, in Zusammenarbeit mit BELVA Film, den Kinos Brotfabrik, Zeughauskino und fsk. Gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds. Kuratiert von Annett Busch und Tobias Hering unter Mitarbeit von Antonia Weiße.